Fr 8.7 — So 31.7.16

Mario Pfeifer, Willem De Rooij

ACUD GALERIE 19h → Exhibition

Kuratiert von Elodie Evers

Die Ausstellung im ACUD bringt zwei Werke zusammen, die auf formal sehr unterschiedliche Art und Weise eine kritische Auseinandersetzung mit sozialer Ungleichheit ermöglichen. Während Willem de Rooij die Anwesenheit des Abwesenden sichtbar macht, schlägt Mario Pfeifer im wahrsten Sinne des Wortes lautere Töne an. Verhandelt wird, was zumindest in Deutschland kaum Gegenstand öffentlicher Debatten ist: das Geflecht der identitätsformenden Kategorien von „Whiteness“ und „Blackness.“

Willem de Rooij hat mit seiner multimedialen Praxis über Jahrzehnte eine selbstreferentielle Syntax geschaffen, in der er die einzelnen Elemente seiner Arbeiten (re)kombiniert und durch unterschiedliche Autorinnen erweitert. Die komplexen Bedeutungsebenen seiner Werke verdichten sich formal immer zu einer klaren visuellen Einheit.

2002 begann de Rooij die bis heute fortlaufende Serie der Bouquets. Von dafür ausgewählten Floristen präzise orchestriert und auf freistehenden Sockeln präsentiert haften den monumentalen Blütenarrangements je unterschiedliche Referenzen zu Symbolik und Provenienz an. Gemein ist ihnen die Repräsentation gesellschaftlicher Strukturen. Das im ACUD ausgestellte Bouquet IX (2012) besteht aus zehn Sorten strahlend weißer Blumen, die zu einem Durchmesser von einem Meter radial aufgefächert ein imposantes, barockes Gesteck bilden. Das Weiß des Bouquets, seiner Vase und Stele verwächst mit dem Hintergrund der weißen Wand des Ausstellungsraumes. Wie in einem Kippbild hebt sich der Grund ab und nicht die Figur. Das sonst so unsichtbare Weiß des White Cubes tritt nach vorne, das vermeintlich „Normale“ fällt in den Blick und wird selbst als Konstruktion, als Inszenierung kenntlich gemacht. Versteht man die prächtigen Blüten, die so überlegen majestätisch und voll exklusiver Schönheit über dem Boden thronen als Verkörperung der „White Supremacy“, also der Universalität von Weißsein, steckt man plötzlich mittendrin in der Debatte über „race.“ Gerade die Tatsache, dass Weiße den unsichtbaren Status von Weißsein nicht erkennen, führt dazu, dass sie die eigene Hegemonie nicht wahrnehmen. Diese „color-blindness“ dient letztlich nur dem Fortbestand weißer Privilegien. Es gilt, den Blick nicht nur auf die Unterdrückten, sondern ebenfalls auf die Unterdrücker zu richten. Nach dem Ende der Ausstellung hinterlassen die Bouquets eine Leerstelle, die auf Reflexion insistiert: Die Identifikation mit Weißsein ist die Voraussetzung um den schwarz-weißen Antagonismus zu durchbrechen. Willem de Rooijs Bouquet IX lässt sich als Einladung verstehen, ein weißes Subjekt zu entwerfen, welches nicht nur negativ, sondern auch positiv, also antirassistisch konnotiert ist.

Mario Pfeifers künstlerische Praxis widmet sich den Konventionen der (filmischen) Repräsentation. Er spielt mit dem ethnographischen Blick und der Verschränkung von Fakt und Fiktion im Dokumentarfilm. Auf zahlreichen Reisen kollaborierte er mit Menschen in ihrem spezifischen kulturellen und soziopolitischen Kontext, um die so gewonnenen Einsichten und Erfahrungen in seine multimedialen Arbeiten zu übersetzen.

Pfeifers Video #blacktivist entstand 2015 als gemeinsames Projekt mit dem in Brooklyn ansässigen Rap-Trio Flatbush ZOMBiES, das mit seinen psychedelischen Songs bekannt wurde. Meechy Darko, Zombie Juice und Erick „Arc“ Elliott schrieben die Musik und die zornigen Lyrics, Pfeifer entwickelte die Bildspur dazu. In dem Video, das in kürzester Zeit zur Netzsensation wurde und inzwischen mehr als 2,6 Millionen Plays zählt, vermischen sich Popkultur und Sozialkritik mit Verweisen auf die Geschichte des schwarzen Aktivismus in den USA. Die wilde Bildcollage ist ein warnender Aufruf und ein wütender Fingerzeig auf die von Rassismus geprägte Gewalt, die vielen Afroamerikaner gegenwärtig in Amerika widerfährt.

Erstmals in Europa zeigt das ACUD eine in Folge des Musikvideos produzierte Zweikanal-Installation Pfeifers. Hier stehen dem energiegeladenen Musikvideo Interviews mit den Rappern und Aufnahmen einer Fabrik des texanischen Non-Profit-Waffenherstellers „Defense Distributed“ entgegen, der die erste 3D-druckbare Handfeuerwaffe produziert und das Design des Modells „Liberator“ zum kostenlosen Download für Privatpersonen freigegeben hat. Das Unternehmen stützt sich damit auf das Recht auf Waffenbesitz, das indirekt im 2nd Amendement der amerikanischen Verfassung festgeschrieben ist. Die ZOMBiES kritisieren indes die amerikanische Rechtslage scharf. Freie Meinungsäußerung scheint gewährleistet, aber nur wenige Stimmen werden gehört. Die Rechte auf Selbstverteidigung und Waffenbesitz führen nicht zu verstärktem Schutz, sondern zu unbeschreiblicher Waffengewalt, die sich vor allem gegen marginalisierte Gruppen richtet. Die mangelnde „gun control“ und der herrschende Rassismus zersetzen den polizeilichen Apparat, ergreifen das Leben von Privatpersonen und die Black Community selbst. Die Ermordung des afroamerikanischen Teenagers Trayvon Martin durch ein weißes Bürgerwehrmitglied in Florida zeigt, dass man nicht von einer „post-race”-Ära seit Obama sprechen kann. Die ZOMBiES und die #BlackLivesMatter-Bewegung rufen Martins Namen mit lauter Stimme in Erinnerung. Über das Medium des Musikvideos, das heute eines der wichtigsten Reservoirs für Empowerment und kulturelles Unbewusstes bietet, erreicht die Videokunst Pfeifers und die Musik der ZOMBiES ein Publikum, von dem die Kunstwelt oft nur träumen kann. Umgekehrt trägt die Musik die im Digitalen entfachte politische Debatte um „Blackness“ in den Ausstellungsraum und füllt damit ebenfalls eine Leerstelle mit einer lauten Message.

Im Anschluss an die Eröffnung findet eine After-Party mit DJ Sets von Alis, An ni, Jacki, Hunni´d Janas und Laura Clock im ACUD club statt.

Willem de Rooij (geboren 1969 in Beverwijk, Niederlande) ist seit 2006 Professor für Freie Bildende Kunst an der Städelschule in Frankfurt am Main. Ausgewählte Einzelausstellungen: MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main; Regen Projects, Los Angeles; Le Consortium, Dijon; Weltkulturen Museum, Frankfurt; Witte de With, Rotterdam, The Jewish Museum, New York, Neue Nationalgalerie, Berlin. Ausgewählte Gruppenausstellungen: The Magic of Things. Perfidious Objects, Hamburger Kunsthalle; Adventures of the Black Square: Abstract Art and Society 1915—2015, Whitechapel Gallery; Perfect Lovers, Art in the Time of AIDS, Fundació Suñol, Barcelona.
 
Mario Pfeifer (geboren 1981 in Dresden) studierte an der Universität der Künste Berlin, an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, an der Städelschule, Frankfurt am Main und am California Institute of the Arts, Los Angeles. Ausgewählte Einzelausstellungen: Ludlow38, New York; Circa Projects, Newcastle; Museo Nacional de Bellas Artes, Santiago de Chile, Project 88, Mumbai; Fotomuseum Winterthur, KOW, Berlin. Ausgewählte Gruppenausstellungen: Gives Us The Future, Neuer Berliner Kunstverein; A Taste of Ashes Fills the Air, Center for Contemporary Photography, Melbourne; MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main; 4te Marrakesch Biennale; New Topographies, LACMA, Los Angeles; ANTIREPRESENTATIONALISM I-III, KOW, Berlin.

Exhibition and publication are funded by:

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