Der Autor als Popstar: Am 2. Oktober 1966 liest der junge Hubert Fichte im legendären Hamburger Star-Club aus seinem Roman Die Palette im Wechsel mit brandaktueller Beatmusik. Beat und Prosa- der Abend trifft den Nerv der Zeit. Mit seinem kühnen Porträt der Kellerkneipe als Keimzelle jugendlicher Gegenkultur thematisiert Fichte als erster den Underground der Nachkriegs-BRD. Das HKW feiert den 50. Jahrestag mit einem Reenactment, Film und Gesprächen im Berliner ACUD und im Golem in Hamburg.
ABLAUF
17H ACUD Studio // Vorträge und Gespräch
Mit Jan-Frederik Bandel, Peter Braun, Ricardo Domeneck, Anne Schülke, Anja Schwanhäußer und Torsten Teichert
Moderation: Tobias Rapp
19H30 ACUD Kino // Film
„Palette revisited“
(Ein Film von Theo Janßen, Produktion Tag/Traum 2005, 68 Min.)
21H ACUD Club // Performance mit Lesung und Konzert
Mit: Ebba Durstewitz, Stephan Möller-Titel und Carsten Trill
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ABOUT
Ich sitze jeden Tag in der Palette. Ich greife nicht ein. Ich beobachte die Bewegungen anlässlich Raubüberfällen und Parties. Ich beobachte, wie geschwiegen wird. […] Niemand wird bei mir eingreifen und käme ich im Taucheranzug oder im Abendkleid. (Hubert Fichte: Die Palette, 1968)
Hubert Fichte, der queere Ethnograf, Wanderer zwischen den Welten und präziser Beobachter der Gesellschaft von unten wie oben, las am 2.10.1966 im Hamburger Star-Club aus seinem noch nicht fertiggestellten Roman Die Palette. Im Wechsel mit seinen Beiträgen traten die Liverpooler Beatgruppe „Ian & The Zodiacs“ und der Folksänger Ferre Grignard aus Antwerpen auf.
Das HKW feiert den 50. Jahrestag dieses Abends als einen großen Moment der Popkultur mit einem zeitgenössischen Reenactment am 1. Oktober 2016 im ACUD, Berlin, einem der ältesten Kunst- und Kulturhäuser in Berlin-Mitte, und 2. Oktober 2016 im Golem, Hamburg, ein nächtliches Wohnzimmer der Hamburger Boheme, wo gepflegte Konversation und ausschweifender Exzess sich nicht ausschließen.
Fichte thematisierte als erster Autor in der bundesdeutschen Literatur so etwas wie den Underground, die Gegenkultur. Der Abend brachte Elemente zusammen, die in der BRD der 60er Jahre so nicht zusammengingen: Den Literaturbetrieb mit einem Publikum, das sich zu großen Teilen aus der Szene rekrutierte, die Die Palette beschrieb. Den unerhörten Inhalt von Fichtes Texten mit der Musik der jungen Generation. Sein poetisches Soziogramm mit der großen Geste des Bühnenauftritts. Die Autorenlesung mit der Tanzveranstaltung. Aus heutiger Sicht: Literatur mit Pop.
Fichtes Texte für Die Palette porträtieren die Szene um das gleichnamige Lokal in Hamburgs verruchter Neustadt, in der die so genannten „Gammler“, Obdachlose, Kriminelle, Intellektuelle, Homosexuelle, Künstler_innen und Neugierige einen Rückzugsort vom Mainstream gesucht und gefunden hatten. Darunter waren der „Palette“-Kellner Rafik; die „lange Ilse“ Henckel, später Übersetzerin beim Spiegel, oder „der schiefe Inder“, der 2014 verstorbene Filmemacher Harun Farocki.
Höhepunkt des zeitgenössischen Reenactments wird die Performance mit Lesung und Konzert 50 Jahre Beat und Prosa – Reenacting Hubert Fichte mit Ebba Durstewitz (Cello), Carsten Trill (Keyboard), Ale Dumbsky (Regie und Dramaturgie der Performance sowie Sprecher) sowie einem Überraschungsgast als „Hubert Fichte“. Mit Originaltexten und abwechselnder Lesung und Musik wird das Ereignis von damals auf die Bühne gebracht – während sich ein neuer Blickwinkel dazwischen schiebt und kommentiert, welche (Nach-)Wirkung Fichtes Auftritt in der „Palette“ nach einem halben Jahrhundert hat. Eine inhaltliche wie atmosphärische Klammer bildet der Dokumentarfilm Palette revisited von Theo Janßen, Jan-Frederik Bandel und Ole Lasse Hempel aus dem Jahr 2005.
Im ACUD in Berlin sprechen unter anderen die Stadtethnologin Anja Schwanhäußer, der Autor und Herausgeber Jan-Frederik Bandel, und Torsten Teichert, Mitherausgeber der „Geschichte der Empfindlichkeit“ und heute Vorstandsvorsitzender einer Versicherung, über die Poetik der Orte bei Hubert Fichte und seinen ethnographischen Blick, den er in der „Palette“ und auf St. Pauli entwickelte. Im Golem in Hamburg wird eine Gesprächsrunde mit Zeitzeugen, die vor 50 Jahren selbst im Star-Club-Publikum standen oder als „Palettianer“ Material für Fichtes Roman abgaben, in Erinnerung rufen, was damals „Underground“ war. Mit dabei sind der St. Pauli-Fotograf Günter Zint, Ulrich Krause, damals selbst Autor und Rock 'n' Roll-Fan, heute Mathematiker, und Uta Juster, bei Fichte die zentrale Figur 'Heidi'.
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50 JAHRE BEAT UND PROSA - RE-ENACTING HUBERT FICHTE
presented by HKW
Saturday, 1.10.2016, Kunsthaus ACUD
Entrance: 16H30
Admission: Panel: FREE/Film and Performance: 5€
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